Scharfe Kritik an der CDU/FDP-Schulgesetznovelle

EuW (Zeitung der GEW), 16.06.08

In einer zweitägigen Anhörung des Kultusausschusses des Niedersächsischen Landtags ist der von den beiden Regierungsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf zur Aufhebung des Errichtungsverbots für Gesamtschulen von zahlreichen Organisationen und Verbänden scharf kritisiert worden. Im Mittelpunkt der Kritik standen die hohen Hürden, durch die das Entstehen neuer Gesamtschulen erschwert werden soll: Erhöhung der Mindestgröße für Integrierte Gesamtschulen, dauerhafte Gewährleistung der Schulen des herkömmlichen Schulsystems, Wegfall möglicher Kapazitätsbeschränkungen. Der Landeselternrat sprach davon, dass die "Leitplanken" für die Errichtung neuer Gesamtschulen zu eng gezogen seien. Gegenstand der Anhörung waren auch die Gesetzentwürfe der drei Oppositionsfraktionen, nach denen die Gesamtschulen den Status einer Regelschule "ohne Wenn und Aber" erhalten sollen.

Von der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände (Landkreistag, Städtetag, Städte- und Gemeindebund), die als Schulträger im eigenen Wirkungskreis von den neuen Regelungen besonders betroffen sind, wurde betont, dass es ein ausschließlich richtiges und ein ausschließlich falsches Schulsystem nicht gäbe. Verlangt wurde eine möglichst große Entscheidungsfreiheit der Schulträger zur Neuordnung ihrer Schullandschaft, wenn das Errichtungsverbot für Gesamtschulen fällt. Dazu gehöre insbesondere die Möglichkeit, die Aufnahmekapazität einer neu errichteten Gesamtschule festzusetzen. Der Gesetzentwurf der CDU- und FDP-Fraktion sieht vor, dass neue (und ab 2011 auch bestehende) Gesamtschulen alle Schülerinnen und Schüler aufnehmen müssen, die die Schule besuchen wollen. Für die Erhöhung der Mindestgröße für Integrierte Gesamtschulen sahen die Spitzenverbände keinen Anlass. Nicht anfreunden konnte sich die Arbeitsgemeinschaft allerdings mit der sich aus den Gesetzentwürfen der Oppositionsfraktionen ergebenden Verpflichtung der Schulträger, eine Gesamtschule zu errichten, wenn sie von einer ausreichenden Zahl von Eltern nachgefragt wird. Es müsse zur Entscheidungsfreiheit der Schulträger gehören, zur Errichtung einer solchen Schule "berechtigt" (CDU-FDP-Entwurf), aber nicht "verpflichtet" zu sein. Von den Vertretern der Arbeitsgemeinschaft wurde aber eingeräumt, dass sich im Falle einer großen Elternnachfrage die Errichtung einer Gesamtschule nur kurzfristig verhindern lasse, weil "gegen den Willen der Eltern auf Dauer keine Kommunalpolitik möglich" sei.

Dass im Regierungsentwurf der Elternwille vom Willen des Schulträgers dominiert werde, wurde vom Landeselternrat bedauert. Kritik gab es an der Heraufsetzung der Mindestgröße für Integrierte Gesamtschulen von vier auf fünf Züge, was zu einer "Schräglage" zwischen städtischen und ländlichen Gebieten führen müsse. Für nicht hinnehmbar hält es der Landeselternrat ferner, dass nach dem Willen der Mehrheitsfraktionen die Möglichkeit entfallen soll, die Aufnahmekapazität einer Gesamtschule zu beschränken. Es müsse dabei bleiben, dass beim Überschreiten der Aufnahmekapazität ein differenziertes Losverfahren durchgeführt werden könne.

Schwierigkeiten sieht das oberste Gremium der Elternvertretungen auch darin, dass bei Errichtung einer Gesamtschule das herkömmliche Schulwesen "im Gebiet des Landkreises" gewährleistet "bleiben" müsse. Deutlicher als mit dem vorgelegten Gesetzentwurf könne man nicht artikulieren, dass Gesamtschulen abgelehnt würden, sagte der Vorsitzende des Landeselternrates in der Anhörung. Er könne sich "ganz und gar nicht zufrieden" mit dem Gesetzentwurf von CDU und FDP zeigen, hieß es vom Landesschülerrat; er empfände den Entwurf "als schlechten Scherz". Die Gesamtschule müsse "Regelschule" werden, die unter Umständen auch die herkömmlichen weiterführenden Schulen ersetzen können müsse. An den Gesetzentwürfen der Oppositionsfraktionen wurde vom Landesschülerrat lediglich kritisiert, dass danach nicht jede Gesamtschule eine Oberstufe erhalten müsse. Nicht weniger deutlich als die Stellungnahmen von Landeselternrat und Landesschülerrat fiel die Reaktion der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule (GGG) aus. Die Summe der im Regierungsentwurf geplanten Vorschriften käme einer Aufrechterhaltung des Errichtungsverbots für Gesamtschulen gleich. Zustimmung gab es dagegen für die Gesetzentwürfe der Oppositionsfraktionen ("konsequente Aufhebung des Errichtungsverbots" für Gesamtschulen"). In die Reihe der Kritiker des Koalitionsentwurfs reihten sich auch die Vertreterinnen der Gesamtschul-Initiativen ein. Von ihnen wurde überdies kritisiert, dass der Gesetzentwurf erst im April vorgelegt worden sei. So seien "viele Monate ungenutzt verstrichen, um noch rechtzeitig und sachgerecht neue Gesamtschulen zum 01.08.2008 errichten zu können". Dies sollte allerdings dort möglich sein, wo die Schulträger - wie im Landkreis Schaumburg - bereits die nötigen Vorbereitungen einschließlich der Elternbefragungen getroffen hätten.

In der GEW-Stellungnahme wurde für die Gesamtschulen der Status einer regulären Schulform "ohne Wenn und Aber" gefordert und der Gesetzentwurf von CDU und FDP abgelehnt. Der GEW-Landesvorsitzende Eberhard Brandt ging vor dem Kultusausschuss insbesondere darauf ein, dass es unmöglich sei, den Fortbestand herkömmlicher Schulen im Umkreis einer neu errichteten Gesamtschule auf Dauer zu gewährleisten. Niemand könne heute voraussagen, wie sich die Schülerströme auf die einzelnen Schulformen künftig entwickelten. Auch ohne die Errichtung neuer Gesamtschulen seien viele Hauptschulen in ihrem Bestand gefährdet. Allenfalls könne für Schülerinnen und Schüler, die eine Gesamtschule nicht besuchen wollen, die Erreichbarkeit einer herkömmlichen Schule unter zumutbaren Bedingungen "bei" Errichtung einer Gesamtschule, also zum Zeitpunkt ihres Entstehens, gefordert werden.

Die im Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen enthaltene schrittweise Verlegung des Einschulungsstichtages vom 30. Juni auf den 30. September stieß bei den Anzuhörenden überwiegend auf Zustimmung. Das gilt - mit gewissen Einschränkungen - auch für die vorgesehene Neuordnung der beruflichen Grundbildung. Größeren Erörterungsbedarf wird es hier aber bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften in die Verordnung für berufsbildende Schulen und deren Ergänzende Bestimmungen geben. Über die vier dem Landtag vorliegenden Gesetzentwürfe will der Kultusausschuss bereits in seiner Sitzung am 13. Juni 2008 abschließend entscheiden. Mindestens in einem Punkt werden die Koalitionsfraktionen als Ergebnis der Anhörung Änderungen ihres Entwurfs vornehmen. Bereits während der Anhörung hatte die Sprecherin der CDU-Fraktion angekündigt, dass es beim Wegfall der Kapazitätsbeschränkungen für Gesamtschulen Änderungsbedarf gebe. Inzwischen liegt ein Änderungsantrag der Koalitionspartner vor, nach dem der "Berstschutz" für die Gesamtschulen erhalten bleibt. Gesamtschulen werden auch künftig ein differenziertes Losverfahren durchführen können, wenn die Zahl der Anmeldungen die Zahl der verfügbaren Plätze übersteigt. Vom Tisch ist damit auch die geplante Verpflichtung der Schulträger von Gesamtschulen, so viele Plätze vorzuhalten, dass alle Anmeldungen berücksichtigt werden können. Wenig bewegt haben sich die Mehrheitsfraktionen dagegen bei der von ihnen gewollten Heraufsetzung der Mindestgröße Integrierter Gesamtschulen von vier auf fünf Züge. Hier wird es lediglich einen Bestandsschutz für bereits bestehende Gesamtschulen geben. Zu einer Verschärfung wird es sogar bei Kooperativen Gesamtschulen kommen, die nicht nach Schulzweigen, sondern nach Schuljahrgängen gegliedert sind. Auch für diese Schulen wird jetzt als Mindestgröße die Fünfzügigkeit festgesetzt.